Donnerstag, 18. August 2016

Geleit

Der larmoyante Kreis hat sich doch ganz gut geschlossen. Es ist also Zeit, die Arbeit an diesem Blog zu beenden. (Ich schreibe aber weiterhin für fixpoetry.) Im folgenden quasi als Inhaltsverzeichnis eine Übersicht über die Rezensionen, die in den letzten drei Jahren auf larmoyanz zusammengekommen sind. Einige Rezensionen habe ich eliminiert, da sie mir im Nachhinein etwas ungeschickt schienen. Die anderen habe ich noch einmal revidiert, teils stärker, teils weniger stark. Man wird sehen, dass sich durch sämtliche zwanzig Rezensionen die Frage danach zieht, was postmoderne Literatur leisten könne und solle, genauer, was in der deutschsprachigen Literaturtradition die ästhetischen Anforderungen der Postmoderne seien. Selbstverständlich wird die Frage nicht umfassend beantwortet. Vielmehr handelt es sich um verschiedene Versuche, aus diversen Perspektiven und anhand sehr unterschiedlicher Texte diese Frage zumindest anzureißen. Ausformulierungen überlasse ich dem Leser. Eine zweite Frage, die immer mitschwingt, betrifft die Form und Aufgabe der Rezension insgesamt. Ich nehme mir große Freiheiten im Umgang mit Texten. Manchmal fabuliere ich metaphorisch und ad nauseam. Manchmal spitze ich beinahe bösartig auf Pointen zu. Und so weiter. All das geschieht im Versuch, die Rezension als Gefäß interessant zu halten, ihr vielleicht unabhängige essayistische Relevanz zu verschaffen. Es ist langweilig, eine Rezension ohne Kapriolen zu lesen, und noch viel langweiliger, eine solche zu schreiben. Allen Lesern herzlichen Dank!

1. !Ach !ja in Schönheit - Zu Friederike Mayröcker
2. Auf tiefem Eis - Zu Felicitas Hoppe
3. Der Zwang der Postmoderne - Zu Clemens Setz
4. Jelinekianer und Nicht-Wagnerianer - Zu Elfriede Jelinek
5. In diesem Garten wird Kohle gefördert - Zu Reinhard Jirgl
6. Ein Gähnen für die Badewanne - Zu Daniel Kehlmann
7. Agamben anal - Zu Helene Hegemann
8. Angela Merkels Gesicht - Zu Norbert Gstrein
9. Lieber Archimedes... - Zu Brigitte Kronauer
10. Biedermeierismus küssdiehandke - Zu Peter Handke
11. Der schielende Narziss - Zu Roger Perrets Anthologie "Moderne Poesie in der Schweiz"
12. Larmoyanz - Zu Max Frisch
13. Der poetische Ton - Zu Dorothee Elmiger
14. Huere geil (der unpoetische Ton) - Zu Joachim Lottmann
15. Die Aufgabe der Dichtkunst - Zu Durs Grünbein
16. In der Karawanserei - Zu Martin Mosebach und René Pollesch
17. Roman, roman - Zu Lutz Seiler
18. Karl May und der unschuldige Leser - Zu Josef Winkler
19. Vitalitätsgenie - Zu Rainald Goetz
20. Anrufung der PampelMuse - Zu Ann Cotten

Montag, 15. August 2016

Anrufung der PampelMuse - Zu Ann Cotten

Ann Cotten, Verbannt! Versepos, Suhrkamp 2016. 

Ann Cotten kann alles. Den gewichtigen, gichtigen hellenistischen Dichtern, z.B. x und y, galt es als die höchste Kunst, widerstrebende Nomenklatur ins stärkstens gekrümmte Metrum einzuspannen, z. B. die Namen von Bäumen in den Galliamb. Auch bei Ann Cotten spielen Bäume eine wichtige Rolle, das Wurzelwerk des Internets oder der Blätterwald am Rande des Boulevards, die Na-Presse, die Zy-Presse, die dritte ist mir entfallen, und sie fungieren als Planken im Rumpf ihrer Spenserstrophe. Alles spricht also dafür, Ann Cotten in die hellenistische Zeit zu datieren, vielleicht könnte es sich bei ihr sogar um die verzweifelt gesuchte Korinna (ev. 3. Jh. v. Chr.) handeln. Folglich entzieht sich zwar kein sprachlicher Wirrwarr ihrem Griff, ist ihr Griechisch aber auch schwer zugänglich. Der Chor der panegyrischen Kritiker befindet sich deshalb in der gar nicht ungewöhnlichen Zwickmühle, dass er sich einerseits verblüfft um Ann Cottens lyrisches Abrakadabra gruppiert, andererseits aber gar nicht versteht, was die Zaubersprüche besagen. Der Auswege sind zwei, entweder bass die Lorbeerblätter auszustreuen, wie in Mutters Sauce bolognaise, oder den Text germanistischen Methoden zu unterwerfen, wie Jason den sprühenden Ochs. Der dritte Weg wird hier beschritten, er ist mir entfallen. 

Was kann Ann Cotten? Wohin die Queen ihre Flotilla von Spenserstrophen aber nur ziehen lässt... Ins Schattenreich. Hier tummelten sich zunächst all jene Kapriolen, Brüche, Freiheiten, die seit Thomas Klings Tod ihr Schattendasein fristen mussten. Doch Ann Cotten hat alle Hundertarmer entkettet und das titanische Suppenhuhn der betulichen Lyrik sah nun in die Schlünde dieser Menschenfresser / wie in den eines Bulldozers ein Kitz. Zum anderen erlagen im Schattenreich die Dissoziierungsprogramme des Netzes ihrer eigenen ewigen Wunde der Dissoziierung: Denn das Netz, sage ich, hat die Welt vollends umgekrempelt, weshalb mir nichts bleibt, als mit einer lila Punkfrisur in den coupierten Parks der digital natives zu promenieren. Jedenfalls hat Ann Cotten auch diesen einsam Verwundeten Kompressen aufgelegt, auf dass die Dissoziierung ihre epische Form finde und alle Welt wieder heil vor uns im heiligen Gewand der vollendeten Kunst erstünde. 

Was kann Ann Cotten nicht? „Bekanntlich zieht sich durch jede goldene Schale ein feiner Riss. Die Weltbezüge in diesem Versepos wirken forciert. Hie und da schminkt sich das lyrische Ich zur Elfriede Jelinek, prangert die nationale Rechte, die verdummte Presse, den Chauvinismus an, nun gut, zu recht, aber hätte man all das in diesem Rahmen sagen müssen? Vielleicht! Aber dann wäre etwas mehr gedankliche Schärfe jenseits standardisierter Denkfloskeln ganz apart gewesen, zudem etwas mehr poetische Vehemenz in diesen Belangen. Irgendwo im Labyrinth der dichterischen Raffinesse ist uns das inhaltliche Interesse abhanden gekommen.“ 

Alles kann Ann Cotten. „Die Weltbezüge wirken forciert, weil sie forciert sind. Man vergesse nicht, dass das Epos auf einer Insel spielt! Eine Fernsehmoderatorin wird des Geschlechtsverkehrs mit einem Mädchen überführt, mit Meyers Konversationslexikon ausgestattet auf eine Insel verbannt und dann... Die Welt des Gedichts hat sich von der Mutterwelt abgenabelt, als letzte elterliche Botschaft brandet nur noch Plastikmüll an die Küste, Banalitäten und banale Reaktionen auf diese Banalitäten, aus denen die Inselbewohner sich ihre gesamte Wohnzimmerausstattung basteln müssen. Das Konversationslexikon gibt so viel Halt, wie ihn eine Liste eben geben kann, gerade genug, um auch noch ins Wohnzimmer mit einzuziehen. Aber so ist sie ja auch, die Welt, nämlich unsere! Der Wirrwarr hat uns im Griff, und wir fuchteln mit der Fliegenklatsche halbgarer Gedanken um uns, als könnten wir ihn abwehren. Es bleibt einem nur, sich dem Wirrwarr als Medium zu überlassen, in seinem Griff zu tänzeln, bis er apart atonal zusammenstimmt, seine dissoziativen Neigungen zu seiner Form werden zu lassen; so hält ihn Ann Cotten zuletzt im Griff, im Griff der Spenserstrophe.“

Samstag, 16. Januar 2016

Vitalitätsgenie - Zu Rainald Goetz

Die Dankrede von Rainald Goetz zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises 2015 findet sich hier: www.deutscheakademie.de/de/auszeichnungen/georg-buechner-preis/rainald-goetz/dankrede 

Aromat, über alles, Aromat! Begeistert ist die Welt, die Akademie, dass sie endlich wieder begeistert werden konnte. Die Diät von Knäckebrot und Leitungswasser, die sie, die Akademie, sich in den letzten Jahren eher häufiger als weniger häufig auferlegt hat, ist für einmal vom Tisch. Endlich steht da einer, der nicht zurückhält, sondern Literatur macht, ganz wie sie sich gehört: künstlerisch. So viel Verve war lange nicht. Da geben sie Rainald Goetz zum Büchner-Preis gleich noch einen Preis für die Büchner-Preis-Rede hinzu. Dann ist wieder klar: Wir stürmen und drängen. Mit Bedacht.

In Johann Holtrop nennt Rainald Goetz den eponymen Johann Holtrop ein „Vitalitätsgenie“. Ein Vitalitätsgenie, so viel ist zunächst offensichtlich, kann durch ungebrochene Kasperliaden eine Energie entfachen, mit der er die Ambitionen der Konkurrenten einäschert, um allein erfolgsgekrönt auf der Bühne zu stehen, vor aller Augen der Hauptathlet. Damit bringt sich Holtrop voran, das macht ihn groß. In Goetz’ Rede entspricht er dem jungen feurigen Autor, dem der ältergewordene Schriftsteller als einzigem zubilligt, in aller Ehrlichkeit „herrlich sprechen“ zu dürfen. In Goetz’ Leben entspricht er dem jungen feurigen Goetz, der sich anlässlich des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs mit der Rasierklinge anritzt, um allein erfolgsgekrönt auf der Bühne zu stehen. Es sollte also kein Geheimnis sein, dass Johann Holtrop nicht nur eine Projektionsfläche alles Bösen unserer Zeit ist, Anlass zum Abriss der gesamten Gesellschaft, ansonsten wäre der Roman möglicherweise langweilig, sondern auch ein alter ego des Verfassers: Auch Rainald Goetz ist oder war ein Vitalitätsgenie.

Nun steht allerdings der gereifte, der vielgepriesene Olympier vor uns, akademisch und jenseits der genialischen Vitalität, könnte man meinen. In seiner Rede distanziert sich Goetz von der Jugend, die er zwar sprechen lässt, aber nicht mehr in seiner eigenen Sache. Er feiert seine Initiation in die Akademie, zeigt sich als verwundet in seiner jugendlichen Genialität und aufgefangen im Gips der Institutionen. Aber es wäre ein Fehler, darin die Selbstüberwindung des Vitalitätsgenies zu sehen. Johann Holtrops wirklich erfolgreiche Karriere folgt erst auf den Zusammenbruch des feurigen Jung-Managers. Im zweiten Stadium lösen Jeremiaden die Kasperliaden ab, dass sich endlich alles Rampenlicht restlos am Genie breche. Die Verve im Jammern trägt Holtrop erst zu den wirklichen Weihen des Selbstdarstellers. Dem Schriftsteller ergeht es nicht anders. Die versteckte Zentralfigur dieser Büchner-Preis-Rede ist Michel Houellebecq, der Meister der Inszenierung seiner Leiden und so der Zwilling von Rainald Goetz; Lust und Pein sei ihnen gemein. Wir erleben in dieser Rede nicht, wie sich aus dem Vitalitätsgenie ein Klassiker gebiert, sondern wie sich ein Vitalitätsgenie zu einer noch effektiveren Version seinerselbst mausert.

Die Kaputtheit der Gesellschaft und die Kaputtheit der Person, die Houellebecq in allen Medien zelebriert, lässt auch Goetz in Johann Holtrop ihren Reigen tanzen, und er tanzt ihn, in seiner „Lähmung“, selber im Rhythmus seiner Rede mit. Was nun die beiden Entwicklungsstadien des Vitalitätsgenies verbindet, ist nicht die Ekstase, die keineswegs gegeben ist, sondern der Wille zur Ekstase, Ekstase soll um jeden Preis erzwungen werden, erst durch die Revolution, dann, nach ihrem Scheitern, durch das Klagelied (man rauft sich die Haare, man wälzt sich im Schlamm). Nennen wir diese Haltung „Ekstatismus“. So viel Verve war lange nicht. „Spatz und Saturn, Wahn und Wirresein usw“, Goetz lässt in seiner Rede die Artillerie des Ekstatismus von Beginn weg donnern. Und die Akademie ist begeistert. Dabei müssten wir von Johann Holtrop doch wissen, dass die Tricks des Ekstatismus zum Handwerk oberflächlicher Kosmetik gehören.

Die ekstatische Wendung ist das Toupé der Schönheitsoperation; billig und wirksam. Oder eben das Aromat unter den Gewürzen; billig und wirksam. In seiner Rede scheint Rainald Goetz beinahe überrascht von der Aufmerksamkeit, um die er sich strebend bemüht hat und die er nun endlich erhält. Er kann nicht anders, als im Gestus des Vitalitätsgenies zu verharren und auch jetzt, da der Sonne Strahlen wirklich ausreichend auf ihm ruhen, nervös wieder und wieder zum Ekstasesalz zu greifen. Es ist ganz wie bei Johann Holtrop. Dass sich die Damen und Herren davon begeistern lassen, spricht vor allem gegen das Knäckebrot, das sie sich sonst so gerne zuführen. Da sehnt man sich doch nach Sturm und Drang im Wasserglas.

Goetz selbst hingegen spannt die Literatur viel weiter. Er inszeniert nicht nur das Vitalitätsgenie (sich selbst), sondern auch die Inszenierung des Vitalitätsgenies; so hat er es in Johann Holtrop getan, und so tut er es in der Preisrede. Dabei ist nicht das Vitalitätsgenie das eigentliche Ziel des Angriffs, sondern die Welt, in der es sich verwirklicht. In der Preisrede treibt er das Verfahren gegenüber Johann Holtrop noch das entscheidende Stück weiter, indem er sich selbst unverhüllt als das Vitalitätsgenie, das er schon immer war, in die Mitte der verlorenen Gesellschaft stellt. Die Rede sollte eigentlich heißen: Rainald Goetz – Abriss der Akademie.