Sonntag, 3. August 2014

In der Karawanserei - Zu Martin Mosebach und René Pollesch


Martin Mosebach, Das Blutbuchenfest, Hanser 2014.
René Pollesch, Kill Your Darlings - Stücke, Rowohlt 2014.

Martin Mosebach und René Pollesch haben sehr viel gemein. Nun gut, der eine gibt sich als Freund der blasierten Coolheit, der andere als konservativer Revoluzzer, aber es stehen beide idealtypisch auf ihren Sockeln. Pollesch ist der letzte Hipster, Mosebach der erste Gerechte dieser, deiner Republik, der eine steif aus Manierismus, der andere manieristisch aus Steifheit, und um ihr Spielbein streichen andächtig die Anhänger der jeweiligen Kochbücher (ob man mit Reis aus der Camargue oder Reis aus Thailand kocht, entscheidet alles). Es fällt schon fast zu leicht, sich über die Herren lustig zu machen. Grund genug, sie im folgenden ernstzunehmen und sich über sie lustig zu machen.

Martin Mosebach hat den klassischen Stil, wie wir ihn nach der Postmoderne schreiben können, souverän ausformuliert. Reich-Ranickis Bodhisattvas Fontane und Mann haben ihr Echo gefunden. In leichter Ironie wird das ernste Thema gesetzt, schön konstruiert mit erzählerischen Kontrapunkten hie und da, und zudem ist das ganze auch noch recht spannend. Im leider entsetzlich pathetisch betitelten Blutbuchenfest defiliert eine fiktive Frankfurter Gesellschaft leichtfüßig vor unseren Augen, während gleichzeitig der Balkankrieg ausbricht. Hauptfigur ist die bosnische Putzfrau Ivana, die die beiden Stränge zusammenführt, aber eigentlich steht der Erzähler im Zentrum, ein mäßig erfolgreicher Kunsthistoriker, der eine Ausstellung zu einem jugoslawischen Künstler kuratieren soll, wobei er sich ab und an verliebt. Das liest sich angenehm, die Figuren sind plastisch, der Satzfluss tadellos. Besonders die Selbstdarstellung des Kunsthistorikers ist im Grunde sehr gut. Es gelingt Mosebach, einen Intellektuellen, der sich in der Mediokrität gescheitert fühlt, ohne die übliche Wehleidigkeit zu zeigen. Nehmen wir zum Beispiel die Stelle, in der der Erzähler beschreibt, wie er ohnmächtig auf eine Brüskierung reagiert:

Ich war nicht einfach nur vor den Kopf gestoßen - nein, mein Verhalten gegenüber dieser Unverfrorenheit war für mich grundsätzlich bezeichnend. Ich habe der nackten Unverschämtheit nichts entgegenzusetzen. Man kann das verächtlich finden, man darf mich einen Waschlappen nennen - was in Rotzoffs Kreisen mit Gewißheit auch geschieht -, aber ich weiß es besser: Es ist ein staunendes Hingerissensein, das mich dann befällt. Ich trete gleichsam aus mir heraus und betrachte die Szene, in die ich da involviert bin, wie durch ein Mikroskop. Wie sich in dem Wassertropfen da alles beißt und frißt und manche kleinen Wesen nur zum Verschlingen und andere nur zum Verschlungenwerden dazusein scheinen. (ss. 354-55)

René Pollesch hat den hippen Stil, wie wir ihn nach der Postmoderne schreiben können, souverän ausformuliert. Das Äußerliche wird das Innerliche, Sentimentalität sentimental unterlaufen im Theoriegeschwafel, sinnentleert und wieder gefüllt im leierhaften Sermon und entrückten Figurenraum, in dem jeder jeder ist und alles verwirklicht. Man fühlt sich kollektiv verstanden durch oblik konkret Beispielhaftes, das die systematische Darlegung aus der Endlosschlaufe befreit und bodenständig herunterbricht (Gurke), in der Fallhöhe der Ironie. Es ist teilweise doch sehr gut, wie hier auf der Oberfläche der Dinge als Tiefsinn gesurft wird. Häufig lässt er vor Kulissen anderer Stücke, zum Beispiel von Brecht, spielen, und die Versuchung des Metatheaters wird angegangen, indem immer Metatheater gemacht wird. Zur Theatertheorie tritt dann noch die Sozialtheorie und die Politiktheorie, sodass diese Stücke nur aus Theorieplatten bestehen, die sich gegeneinander verschieben, oft auch in verschiedenen Stücken in der exakt gleichen Formulierung, etwa in bezug auf den Übergang des chinesischen Staates zum Kapitalismus, ohne einen verbindlich zu entlassen. Aber die Theorie interessiert auch gar nicht. Nur das Zeitgefühl der Figuren und Zuschauer, das sich in diesem Theoriegeschiebe zeigt, interessiert und bleibt am Ende der Stücke. Er trifft uns mit unseren coiffierten Bärten so, dass man, wie man Aristophanes lesen soll, um das Athen des fünften Jahrhunderts zu verstehen, Pollesch lesen könnte, um das Berlin des 21. Jahrhunderts zu antizipieren. Zur Illustration könnte man diesen Ausschnitt aus der, sagen wir, Bergpredigt in Don Juan nach Molière vorlegen:

Weißt du, ich war der, der niederkniete wie zum Gebet und der dadurch glaubte. Egal, was in mir vorging, ob ich da Erbsen zählte oder so was. Mein Körper war ja bei der Sache, und das wird verkannt, wenn wir nach dem Echten fragen. Und der in der Tragödie, der kniet vor Turnschuhen nieder, mit seinem großen Gefühl für dich, und das macht ihn zu einem Schuhverkäufer. Kein Liebender. Die große Geschichte darf ruhig hohl bleiben. Wichtig ist, zu wissen, dass eine spezielle Liebe wie deine und seine, so einzigartig sie auch ist, für die Umstehenden aussieht wie die kleine Geschichte eines Schuhgeschäfts und den Menschen darin. Wir müssen auf die Gesten vertrauen. (s. 379)

Stilistisch tritt der Kontrast zwischen Pollesch und Mosebach hervor, wenn man sich ansieht, wie sie jeweils versuchen, gegenwärtig zu sein. Pollesch scheut keine Entsetzlichkeit, Dinge "machen Sinn", Leute "machen Geld", wo immer ein Anglizismus aufzutreiben ist, wird er aufgetrieben, "Fake-Donner" usw. Mosebach hingegen bemüht sich sehr, Zeitgenössisches klassizistisch abzufedern, Anglizismen einzudeutschen. Das Handy ist ein "Mobiltelephon", ferngesehen wird im "Rhythmus eines elektronischen Programms", etc. Auch sprachlich ist für Mosebach Tintoretto, was für Pollesch Lady Gaga ist. Wesentlich relevanter scheint allerdings, dass im stilistischen Kontrast die Grenzen des hippen und des klassischen Stils in ihrer Reinform offensichtlich werden. Pollesch und Mosebach schreiben die Stile möglichst professionell und konsistent; und dann verrutschen ihnen die Röcke doch.

Zunächst zu Pollesch: Ein hohler Satz bleibt ein hohler Satz, poetisch und theoretisch. Es ist sehr zu hoffen, dass ein Satz wie Kurt Gödel meinte, es gibt wahre Aussagen, die nicht belegbar sind nur als Witz eingebaut ist, aber man kann wenig auf die Hoffnung vertrauen, da zum Beispiel ebendieser Satz ernsthaft aufgenommen wird (in Don Juans Bergpredigt!): Es muss nicht mit Wahrheit belegt werden, um wahr zu sein. Demjenigen, was man bei Pollesch poetisch finden kann, haftet immer etwas von Ratgeber- und Weisheitsliteratur an. Natürlich ist das teilweise gewollt, aber mancherorts, fürchte ich, nicht ganz. Zudem wirkt die Coolness von Satzkonstellationen wie Da steht sie, die chinesische Führung. Hast du deine Vitamine genommen? (Fantasma, s. 53) doch auf Dauer arg forciert und ausgeleiert. Ja, so salopp kann man sein; sich auf nichts explizit Poetisches, Metaphern, schöne Sätze, einzulassen, Fälle nicht anzugleichen (denn wer tut das heute noch?). Nur, zuletzt ist das doch altes Brot, man backe mir einen Auflauf damit, bitte!, aber man präsentiere es mir nicht als frische Semmel.

Mosebachs Prosa ist da schon frischer in der Wangenröte eines Renaissancebrots (sic). Aber wie weit das klassische Programm trägt, ist fraglich. Immer wieder rutscht es in den Kitsch, ins beinahe unsäglich Abgegriffene und Klischierte. Schlimm sind weite Strecken des ersten Kapitels, in denen Ivana badet: In der duftenden öligen Wärme und im Spiel der Sonnenflecken löste sich diese Starre. Ivana lächelte. Sie lächelte sogar lieblich, ohne unmittelbaren Anlaß. Dies Lächeln gehörte nicht zu einem durch den Kopf ziehenden kleinen Gedanken, es wurde gleichsam von der ganzen Hautoberfläche hervorgebracht. Eine andere Möglichkeit zu sein tat sich auf. Sie plätscherte in der Wärme. Sie öffnete und schloß die Schenkel... (13) Aber auch später unterlaufen dem Autor Sätze, die einen schaudern lassen: War mit der Erinnerung an zigtausend aufgeschmauchte Zigaretten auch ihre Vorstellung vom eigenen Leben in Rauch aufgegangen? (335-36) Der gesuchte Stil, der sich zu großen Teilen einfach als Synonymalstil entpuppt, hat seine Wiedergeburt nur ramponiert überstanden; eine frische Semmel am Gehstock.

Im 20. Jahrhundert hat sich ein Gewirr von Stilen entwickelt. Wir warteten lange in der Karawanserei des Folgejahrhunderts, bis sich alle Stile durch die Wüste gerettet und gesund gepflegt hätten. Es ist ihnen geglückt, und der klassische, der hippe Stil und sämtliche Confratres schnarchen professionell mit ruhigem Puls; wir können sagen, es gehe ihnen gut, auch wenn man ihnen ihr Alter anriecht. Aber nach allzu langer Ruhe drückt die Matratze doch aufs Gesäß. Es ist Zeit, die Kamele wieder zu satteln. Und sei es auf die Gefahr hin, uns mit Stilblut (sic) zu besprengen oder auf einer Düne am Infarkt dahinzugehen.