Montag, 23. Juni 2014

Huere geil (der unpoetische Ton) - Zu Joachim Lottmann

Joachim Lottmann, Endlich Kokain, Kiepenheuer & Witsch 2014.

"Hoc et corpum meum" reclamat Cicero iridescens "et in farfalla solvibitur orbs" & exit. Jenes Buch ist so schlecht, dass es bereits wieder schlecht ist (und zwar noch schlechter). Wackel, wackel, kleiner Dackel!

der pontifex, cara Joachim, auferlegt dir (auch pontifexe hageln heiter) (asking for more sunset from the sunset is why my sun set) einen Tritt im Morgenrot.

Der Ton wäre unpoetisch, wenn er ein Ton wäre. Es ist schön, dass nicht alle den Urgrund beschwören (sancta profunditas), man schürfe mir unbedingt die Oberfläche, aber bitte sehr, es muss doch erst Lack auf dem Nagel sein, bevor man den Entferner applizieren kann.

Unser Erzähler sprüht vor Lustigkeit wie das Ice-Age-Nagetier mit seiner Disney-Haselnuss; ich kann mich vor Gähnen kaum halten. Es kichern alle Erbsen.

Xenia sah nun, wie dick er war, und das dämpfte die Stimmung. Ein Rückschlag! Aber Xenia konnte sowieso nicht mehr anders, als zu reden. - Nein, so schlecht schreiben kann doch kein Mensch, cara Joachim! (außer Hegemann)

"Panem nostrum supersubstantialem cotidianum da nobis hodie" & exit.

Sonntag, 15. Juni 2014

Der poetische Ton - Zu Dorothee Elmiger

Dorothee Elmiger, Schlafgänger, Dumont 2014.

Bis anhin hat Elmiger zwei Romane veröffentlicht, und es fällt auch noch nach dem zweiten, Schlafgänger, schwer, nur einen Satz von ihr zu finden, den man nicht verteidigen könnte. Höchstens die Plusquamperfektkaskade gegen Ende des zweiten Abschnitts auf Seite 13 ist fragwürdig; ansonsten ist der Text, in gewisser Weise, makellos. Zudem ist die Prosa, anders als bei Gstrein, auch mehr als lediglich handwerklich gut. Nahtlos und souverän in der Tonlage ist sie, in gewisser Weise, eigenständig, mit eigenem Duktus und eigenem Ziel.

Schlafgänger ist ein Konversationsstück. Verschiedene Figuren, nicht gerade Charaktere, sondern eher schemenhaft vorhandene Personen, Figuren also, unterhalten sich über Grenzen, Grenzen zwischen Wirklichkeit und Traum, aber vor allem konkret über Migrationsgrenzen, wie die kalifornisch-mexikanische Grenzlinie oder den Rheinhafen in Basel. Es erzählen ein Logistiker, eine Schriftstellerin usw. von ihren Eindrücken, Erlebnissen bezüglich Grenzen und verleihen dem Tagesgeschäft, wie es in Zeitungszitaten im Text aufblitzt, durch ihren suchenden, !mystisch suchenden Gestus, an der Grenze von Wirklichkeit und Traum eben, eine abgrundtiefe Bedeutung. Wie schon in der Einladung an die Waghalsigen, Elmigers erstem Roman, wird die Bedeutung, die sich in der Abgrundtiefe findet, nicht explizit, aber die Suggestion, dass die Bedeutung bedeutend ist, ist eindeutig: Wie die Waghalsigen, so schürfen auch die Schlafgänger an den Grundfesten der Welt.

Dazu wählt Elmiger, ebenfalls wie im Vorgängerroman, einen poetisch beschwörenden Ton, der sich sanftest wiegt. Wir kennen diesen Ton. Vielleicht ist schon die Anspielung im Titel auf Hermann Brochs Schlafwandler gewollt, aber bestimmt ist die Nähe zu Autoren wie Gerhard Meier oder, noch zeitgenössischer, Friederike Kretzen spürbar. Es ist der klassische Ton heutiger poetischer Romanschreibung und wirkt als solcher, in gewisser Weise, vorgefertigt. Denn seine Zutatenliste ist Allgemeingut: Zunächst treten die Protagonisten als Erzähler auf und werden nur vage charakterisiert, in dem Sinn eben, in dem sie, wie oben genannt, Figuren sind. Außerdem wird das Erzählte nicht gewertet, sondern verharrt, ganz Phänomen, in der Beschreibung. Schließlich herrscht die Parataxe, und mithilfe eines Kommaschwarms werden Impressionen wie in einem Verzeichnis aufgereiht und häufig auch refrainartig strukturiert, wie in einem Gedicht eben, vielleicht sogar einem homerischen.

Die Schlafgänger folgen der Zutatenliste, und doch ist der poetische Ton bei Elmiger besonders beeindruckend, dank der Perfektion der Wortsetzung und der erfrischenden Insistenz, mit der sie schreibt. Die Makellosigkeit oder Perfektion allerdings wird durch das übermäßige Vertrauen ins Parataktische leicht getrübt. Es scheint etwas gar einfach, die Schwierigkeiten der Prosa aufzulösen, indem man sich gar nicht erst an die wahren Gefahren, die Nuancen der Satzverbindungen, traut, und in gewisser Weise ist diese Einfachheit des Wegs zur Makellosigkeit ihr Makel. Andererseits ist die Insistenz im Verfahren doch wieder radikal und eigenwillig und dadurch die erreichte Perfektion zuletzt alles andere als das Ergebnis schriftstellerischer Gemütlichkeit. So treibt insgesamt die Insistenz diesen Text an und ringt dem standardisierten poetischen Ton einen wirklichen ab. Ich erinnere mich, dass ich bei Mayröcker von Insistenz gesprochen habe. Vielleicht ist auch diese Vergleichsgröße nicht völlig absurd. Um die bisherigen Bemerkungen greifbar zu machen, bittet ein Auszug zum Tanz:

Eine wahre Geschichte, sagte Esther und erhob sich: Mit einem befreundeten Kind bestieg ich ein Tretboot, wir stachen in See, links überholte ein Raddampfer, rechts lag das Haus, in dem einst Wagner wohnte, überall Alpgebirge, Schwäne umzirkelten das Boot, ich erklärte das Wort majestätisch, das Kind zog sogleich die Schuhe aus, wann immer ich das Steuer losließ, hielt es Richtung Süden, sodass wir uns Werftsteg und Bootshafen näherten, statt ins Offene hinauszuschippern, ich wies das Kind darauf hin und steuerte gegen, warum es unbedingt in diese Richtung fahren wolle, fragte ich, die Sicht war klar, die Vögel trillierten, das Kind zuckte mit den Schultern, es streckte die Füße zur Seite ins Wasser, der Winter ist vorbei, jubelte ich, sieh an, ein Ausflugsschiff namens Schiller passierte uns, das Kind trank Coca-Cola, über uns donnerte die Patrouille Suisse. Erst Tage später las ich zufällig, zu genau jener glänzenden Zeit, als das Kind Richtung Süden steuerte, die Alpen so majestätisch sich erhoben und das Ausflugsschiff den Quai verließ, sei am Werftsteg ein neunzehnjähriger Algerier (so schrieb die Zeitung) beim Schwimmen ertrunken. (s. 107)

Die Pointe hier ist ganz typisch. Oft wirft Elmiger Berichtfetzen ein, meistens mit Bezug zu Opfern der Migration, die im freien Fall aus der poetischen Lage ein hohles Schlucken auslösen. Mit diesem Effekt wird das Thema des Buches, denn es hat eben ein Thema, nämlich den globalisierten Flüchtling, angegangen. Das hohle Schlucken speist sich aus dem unmittelbaren Nebeneinander des im Stacheldraht Zerfetzten mit der Krokusblüte und fügt sich so schön aus der parataktischen Poesie des Romans. Der Effekt ist bekannt, auch er gehört zum Standardrepertoire des poetischen Tons, wie er, wenn auch weniger tagespolitisch, von Gerhard Meier gepflegt wurde. Die Frage ist, ob der poetische Ton zur Behandlung eines Themas wie der Migration geeignet ist, und die Antwortet lautet, nein. Man soll nicht gleich nach Reporterhärte schreien oder sich das wunderbare Hackebeil Jelineks wünschen, aber etwas mehr Konfrontation mit der Politik, wenn denn schon Politik sein soll, täte gut. Nur einfach Zitate in den Text einzulassen, als poetischen Kontrapunkt, und sie, wie es der Ton befiehlt, schweben zu lassen, ist auf die Dauer dann doch zu bequem.

Ein warmer Nachmittag in der Hängematte, es raschelt ein Vögelein zwischen den Zweiglein, durch den schweren Fliederduft ziehen aus der Ferne Sirenen, ach, in der Ferne wird gekreischt, aber ich liege in der Watte des Konstatierens im Zitat und stoße mich mit den Zehenspitzen von der Kirschbaumrinde ins Schaukeln hin und her. Schlafgänger wäre wesentlich interessanter, wenn sich der poetische Ton ab und an unsanft angriffe, wenn, ja, auch der Kalauer ist ein Werkzeug, weniger in der Tiefe geschürft und mehr an der Oberfläche gekratzt würde.

Allgemeiner gesprochen vermisse ich, wovon ich bei Gernhardt et al. zuviel verabreicht bekomme, den Schalk. Die Homogenität des Textes ist, ich wiederhole mich, beeindruckend. Aber gleichzeitig zeigt er die Grenzen des poetischen Tons auf. Wenn alles Fliederduft ist, ist auch der Fliederduft fade. Etwas Esprit, Richtungswechsel, Registerwechsel, vielleicht sogar Brüche in der Perfektion täten gut. Hier unterscheidet sich Elmiger, nicht zum besseren, von Kronauer oder Hoppe, die den beschwörenden Klang auch beherrschen, ihn aber nicht als Allwürzmittel verwenden. Man sagt, ein guter Autor müsse seinen Stil finden, und möglicherweise ist das nicht falsch. Aber ein noch besserer Autor sollte auch zum Stilbruch bereit sein. Weniger klangschön wäre Schlafgänger ein noch besseres Buch, und vor allem eines, das seinem Thema adäquater würde.