Peter Handke, Versuch über den Pilznarren, Suhrkamp
2013.
Zwischen zwei
moosigen Baumstammhälften wurde mir, auf einer Lichtung, auf der man Rehe
gewärtigt hätte, im modrig gespaltenen Holz ein sonderbares Gewächs offenbar,
ein ganz in sich gewandtes, nur dem Inneren zugetanes wortloses Geschöpf,
dessen äußere Hülle den Rückzug allen Betrachtern verkündete, in Farbe, Geruch
und Form einzig und einzigartig bedacht: Ich fand den Großpilz der deutschen
Literatur, dessen Eigenschaften beim Schmoren, Braten, Salatieren bereits so
bekannt sind, dass ich mich kurz fassen und ihm lediglich einen Ortungschip
einsetzen möchte, damit wir ihn wieder finden könnten, sollten wir ihn denn, den
Wanderer durch deutsche Wälder, in einigen Jahren wieder finden wollen.
Am besten lässt
sich Handke im Kontrast verorten. Felicitas Hoppe hat sich aus der
traditionellen Moderne geschält und ihre neue, klassizistisch intakte
Literatursprache in Hoppe gefunden.
Ähnliches hat schon vor Jahrzehnten Handke getan. Bei beiden scheint das
Bedürfnis vorhanden gewesen zu sein, sich über Anleihen bei älteren Traditionen
der Stereotype der Moderne zu entledigen. Wir sehen also im Pilznarr den x-ten Betätigungstext für
Handkes ursprünglich neuen Prosastil. Abgesehen von der Intention und Methode
in der Stilfindung könnte sich dieser von Hoppes kaum mehr unterscheiden. Die
Moderne, aus der Hoppe kam, ist eher die symbolistisch-surrealistische von
Bachmann, diejenige, an der sich der junge Handke versuchte, die
harttrocken-rapportartige Eichs, und vielleicht lässt sich auch daraus
erklären, warum Hoppe sich nach einem kristallenen, Handke aber einem warmen
Ton umsah, um sich weiterzuentwickeln, beide also nach einem ihrem
ursprünglichen möglichst konträren. Fündig wurde Hoppe scheinbar im 18.
Jahrhundert bei der Klassik, hingegen Handke im 19. Jahrhundert beim
Biedermeier.
Aber bevor ich
meinen Gaul weiter übers Feld jage, muss ich doch auch kenntlich machen, dass
ich überhaupt auf einem Gaul sitze, da man sonst zu gute Laktatwerte von mir,
meinem Tier, erwarten könnte. Die literaturhistorischen Labels nämlich, mit
denen ich operiere, sind von Skorbut geplagt und wenig beißkräftig.
Plattitüdenhaft kann man Charakterisierungsversuche unternehmen und einzelnen
Epochen Attribute oder Autoren zuordnen, zum Beispiel der Klassik des 18.
Jahrhunderts Leichtigkeit, Ironie, Klarheit im Satzbau, Welthaltigkeit und
Extraversion in der Themenfindung und im gesamten intellektuellen Duktus, wie man
sie bei Fielding, Sterne, Diderot, Voltaire, Wieland, Goethe ahnt; handkehrum
Schwere, Ernsthaftigkeit, Umständlichkeit im Satzbau, Rückzug ins Detail der
Kleinbürgerwohnung und Introversion dem Biedermeier und seinem Meister,
Adalbert Stifter. Aber selbstverständlich werden sich für viele Kriterien
Gegenbeispiele und für viele Autoren andere Epochenzuweisungen finden lassen.
Goethe zum Beispiel ist ein echtes Schnabeltier, Klassiker aber auch Vorgänger
des Biedermeier. Trotzdem werden diese Plattitüden hier, aus Faulheit und
Einfallslosigkeit, Verwendung finden. Nehmen Sie bitte den Gaul als Geschenk
meinerseits an, und behandeln Sie ihn entsprechend gütig.
Hoppe also
schwingt sich von der Klassik beflügelt klassizistisch durch die Luft. In Hoppe ist ihre Prosa ist durchlässig,
anscheinend substanzlos, ihre Figur saust durch die ganze Welt wie Voltaires
Candide oder Johnsons Rasselas, alles steht auf Aufbruch aus der Heimat, leicht
flügge geworden und auch im Ernst mit dem Helium der Ironie gefüllt. Mit Handke
sammeln wir dagegen die Außenwelt ein, um sie in unseren Wohnzimmern
aufzustellen, in Ruhe ernst zu betrachten, abzustauben, recht geordnet, von
allen Einflüssen abgeschirmt, toten Schmetterling auf toten Schmetterling,
glasierten Stein auf glasierten Stein, Pilz auf Pilz, dass die ganze Welt als
kontrollierbare Miniatur vor uns steht, vom Kopfkissen aus sichtbar, als meine
materialisierte interferenzfreie Gedankenwelt, in der jeder Schritt bedeutsam
vor jeden Schritt gesetzt werden kann, weil luftdicht isoliert wurde. Handke
also stapft vom Biedermeier beschuht durchs Wiesengras und frönt dem
Biedermeierismus.
Im Panoramabild
der zeitgenössischen Literatur stehen Klassizismus und Biedermeierismus vor
allem der Postmoderne im engeren Sinne gegenüber, wie sie sich Setz oder auf
ihre Weise auch Jelinek in der Tradition von Gaddis, Pynchon, Wallace und in der
bewussten erblichen Nachfolge der Moderne erschreiben. Wenn wir den
Klassizismus, der seine Arbeit als Kontrastfarbe geleistet hat, scheiden
lassen, kann man fragen, wie sich Handkes Biedermeierismus in diesem
Panoramabild ausnimmt. Zunächst kann man schon einmal festhalten, dass er sich
wirklich ausnimmt, das heißt, dass er
sich eine introvertierte, auf die Außenwelt nicht achtende, aber eine in aus
sich heraus allem überlegene Einkehrung geordnete Position zuschreibt. Dazu
passt der Versuch über den Pilznarren schön,
die Geschichte eines Mannes, der "in die Pilze geht" und sammelnd die
Welt über seinen Wüchslingen vergisst, bis Frau und Kinder ausziehen und er
ganz allein in seiner Neurose hausen kann. Dieser eine Biedermeier, der
Pilznarr, wird vom zweiten Biedermeier, dem Erzähler, idealtypisch dargestellt:
Der Zwischenraum, wo er, so sein Wort mit der
Zeit, "lagerte" und seine Gerichtsauftritte vorbereitete, wurde
zugleich, wieder sein Wort, "simultan", sein Auslug-Sitz zu seinen
Zeitgenossen. Das war beileibe keiner von den Hochsitzen, wie er und ich sie
von den heimischen Waldrändern kannten, eher Hochstände, die oft bis in die
Wipfel der Saumfichten reichten, für die Jäger und Heger, gegebenenfalls auch
für Liebespaare. Und trotzdem, auf ebener Erde in dem Zwischenraum, als seinem
höchsteigenen Bereich, wenn nicht Reich, lagernd, war ihm, als säße er erhöht
über den Leuten, die im Lauf seiner Arbeitsstunden den Wald bevölkerten. (s. 107)
Der Erzähler
ist nicht der Autor und seine Figuren noch viel weniger, aber der Stil ist
zuletzt seiner, das Biedermeier dem Text mit Absicht vom Autor eingeschrieben,
und im Falle Handkes seit Jahren. Man sollte also nicht von reiner Satire
ausgehen. Aber was soll man dann von diesem verschwurbelten, betulichen Stil
und Thema halten, diesem Anachronismus, dieser Weltentzogenheit und lächerlichen
Ernsthaftigkeit? Zunächst: Handkes Biedermeierismus ist äußerst radikal und
bewusst als radikal gesetzt. Handke hat sich entschieden so zu schreiben, und
er weiß natürlich auch, wie schief in der Welt seine Prosa steht. Diese
Literatur ist viel radikaler als die meiste vermeintliche cutting-edge-Schreiberei über Kindersoldaten in Afrika, viel
ungewöhnlicher und mutiger, gerade weil sie allem Reißerischen sehr fern steht
(sie steht ja allem sehr fern). Sie ist auch formvollendet, ihr Stil
perfektioniert und durchwegs aufrechterhalten. Nicht einmal vollkommen ironiefrei
ist sie, denn immerhin ist der beschriebene Biedermeier ein Narr, erbärmlich
und vollkommen gescheitert. Aber gut, der Kleinbürger ergötzt sich ja auch gerne an anderen Kleinbürgern, die, anders als
er, ihr Wohnzimmer tragisch eingebüsst haben. Der Text bleibt also, trotz der
Anflüge von Ironie, weihepriesterlich lächerlich; nur meine ich das gar nicht
sehr negativ. Stifter, einer meiner Hausgötter, ist der in beiden Sinnen des
Wortes komischste Schriftsteller der Welt, erheiternd in seiner Spießigkeit,
aber auch beeindruckend in seiner Konsequenz. Handke geht es recht ähnlich, und
darin zeigt sich natürlich auch wieder die Perfektion seines Biedermeierismus.
Wir lachen gegen seine Literatur, denn wir sind ja viel welthaltiger und
ironischer, aber wir lachen herzlich, mit Jandl, ein herzliches küssdiehandke.