Norbert Gstrein, Eine Ahnung
vom Anfang, Hanser 2013.
Oswald Wieners 1969 erstmals in Buchform erschienene verbesserung von mitteleuropa, roman
wurde kürzlich bei Jung&Jung wieder aufgelegt, bestimmt das beste Buch der
Welt: sollten jedoch folgende gespenster
unter den anwesenden ausgemacht werden: k.l., chefredakteur h., w. d., e. t.,
miss austria 19 .. oder manager r., g. b., ing. w., präs. h., der schah von
persien, blonde hünen, sitarspieler, jazzer, r. b. oder p. a., ing. s., h.-l.,
physiker, schnorrer, goscherte weiber, dichter, epileptiker, konstrukteure und
designer, architekten, volvofahrer, bayern, provinzler, pariser, surrealisten,
studenten, und ähnliches - so soll der regisseur zum walkie-talkie greifen und
meldung erstatten. ich komme dann sofort, "auf allen flügeln des
hasses", hol mich der teufel, und hau sie in die goschen, haus all die in
die goschen wie ein maniak und hol mich der teufel, das wird der grösste intellektuelle
genuss meines lebens sein. (vvm
CXIII)
Norbert Gstreins neuer Roman ist hier und heute erschienen (siehe
oben), ein Roman, kein , roman, aber
ein kluger und souveräner Text. Erzähler ist ein Deutschlehrer in der
österreichischen Provinz, sein Objekt ein ehemaliger Schüler, der zwischen
Literatur, Mathematik und Birkenstockreligiosität seine Exzentrizität
kultiviert und unter dem Verdacht der Bombenlegung à la Camus' Les justes steht. Zur Probe:
diese frau ist von meiner
rasse, ja erbarmungslos.
ich pudere orkane, nun
allerdings ist das meine beziehung zur natur - von diesem vorhandenen schwanz
streife ich das erdbeben wenn es da ist, macht das deutlicher, was ich jetzt
sagen werde;
da ist ein stück haut damit
berührt sie meinen arm, krachend verfällt - verneige ich mich - wahrscheinlich
ein gebirge, menschen kommen um: die elemente kochen, in böhmen geht ein
viertel ein.
ach! sagt einer, es sind so
viele metaphern. - du arsch; hörst du engel reden?, ich schreibe für engel du
arsch;
höre! in dieser fut ist tao -
Nein! Welch Verirrung! Das ist natürlich nicht Gstrein; Wiener hat
unvorhergesehen überhandgenommen (hymne
an den erzengel, vvm LV). Ich
zerfalle in Proskynese dem Kunden und bringe ein echt Gstreinsches
Klangbeispiel dar:
Die Idee klingt widersinnig,
der Reverend sei so weit gegangen, seine eigenen Töchter als Köder zu benützen,
um mir die beiden Jungen abspenstig zu machen, auch wenn sich das in Daniels
Manuskript nicht nur zwischen den Zeilen so liest. Wenn ich wollte, könnte ich
spekulieren, ein unter den Augen des strengen Vaters geklauter Kuss, eine
verstohlen in ein Höschen geschobene Hand und was der Versatzstücke mehr sind,
aber es ist egal, ob es so war oder nicht, es hat keinen Sinn, sich Gedanken zu
machen, und führt nur ins Melodramatische. Dass mich der Reverend nicht mochte,
war nichts Neues für mich, beruhte, wie man so sagt, auf Gegenseitigkeit, aber
dass sein Reden von der Verdammnis sich so direkt auf mich bezogen haben soll,
überraschte mich doch. Natürlich erinnerte ich mich an sein Verdikt, der Kampf
um Jerusalem sei ein Kampf um jeden einzelnen Menschen, aber dass er damit den
Kampf um die beiden Jungen gemeint haben könnte und er es als seine Pflicht
ansah, sie vor mir und meinem Einfluss in Sicherheit zu bringen, weil ich für
sie das Verderben war und sie zu unaussprechlichen Sünden und einem Leben in
Schimpf und Schande verführen würde, kam mir nicht nur der Formulierung wegen
wie eine schlechte Erfindung vor. (s. 165)
Nun, im Rückblick ist die missliche Verwechslung Gstreins mit Wiener
doch ganz hilfreich. Zwei Prosastücke könnten nicht unterschiedlicher sein, und
daran lässt sich ablesen, worin Gstreins Kunst besteht, sowie, woran es ihm
mangelt. Zunächst zum Positiven: Der Roman ist sehr gutes Handwerk, beinahe
makellos. Brüche und Ungeschicklichkeiten finden sich kaum. Natürlich ist
Wieners Text auch gut gemacht, viel besser noch als Gstreins (dazu später
mehr), aber im oberflächlichen Sinn der Handwerksausübung kann die aus allen
Fugen gebrochene vvm schwer als
ideales Vorbild zur Romananfertigung dienen, während Eine Ahnung vom Anfang genau das ist: ein vorbildlich verfasster
Roman.
Die Klugheit des Texts zeigt sich makroskopisch in der Erzählanlage.
Vermeintlich ist die Hauptfigur Daniel, der exzentrische Schüler des Erzählers,
der bei ihm gemeinsam mit einem Freund einen Sommer in seinem Haus am Fluss
verbringt. Um Daniel kreisen die Gedanken und Ängste des Texts, der Zorn usw,
und was er getan haben oder noch tun könnte steht im Zentrum. Aber natürlich
ist Daniel keineswegs die Hauptfigur. Die Hauptfigur ist der Erzähler. Ihn
beobachten wir, seine Erlebnisse und Überlegungen interessieren uns, und er
steht am Ende vor uns da. In den letzten paar Jahrhunderten hat sich eine ganze Parade an verspiegelten Ich-Erzählern, in die wir eintauchen!, mit denen wir leiden!, die WIR sind,
durch die Saisons gequält, bis sie zum Klischee und ihre Introspektion zum Kitsch
wurden. Gstreins Kunstgriff ist so einfach wie überzeugend: Er lässt den
Ich-Erzähler zu, er lässt die Introspektion zu, er erlaubt uns, an das Ich nahe
heranzutreten, aber er vermeidet die Stereotypie dadurch, dass die
Introspektion nur indirekt zur Betrachtung des Erzählers führt, nur in den
Augen der Leser nämlich, während das Fokalobjekt des Ichs selbst stark und
aufdringlich Daniel bleibt.
Mikroskopisch ist Gstrein ebenso geschickt. Seine Sätze sind lang,
aber nie zu lang. Die Nebensatzkonstruktionen werden variiert, aber nicht
übermäßig, und wohltariert in Harmonie zum Abschluss im Gesamtsatz gebracht. In
der Passage oben könnte man eventuell den Nachsatz "und führt nur ins
Melodramatische" anzweifeln, weil er Gefahr läuft, den Satz am Schwanz brechen
zu lassen. Aber auch er ist verteidigbar, da er den etwas luftleer hängen
gebliebenen Satzteil "es hat keinen Sinn usw" ausbalanciert. Ebenso
bewusst verwendet sind die einzelnen Worte. Kaum eines steht zufällig da,
Phrasen werden nur im mention, nicht
im use zugelassen, und insgesamt
bildet Gstrein keine Hohlsätze, die man so an jeder Straßenecke findet. Etwas
verdächtig ist oben nur der Einsatz von "geklaut", der zu
umgangssprachlich ist, um ins Gefüge zu passen, und zudem gegenüber
"gestohlen" keine relevante Bedeutungsnuance herstellt.
Selbstverständlich will Gstrein der plumpen Wortdoppelung mit
"verstohlen" aus dem Weg gehen, aber da das schiefe
"geklaut" nur durch die Hintertür wieder zu derselben führt und
Plumpheit im gleichen Ausmaß anrichtet, wäre die Kombination
"gestohlen", "heimlich" wohl besser als
"geklaut", "verstohlen." Aber eben: Dass solche Lappalien
überhaupt auffallen, zeigt, wie gut gebaut der Text im Grunde ist.
"Gutes Handwerk", "gut gemacht", "gut
gebaut": Ich meine das nicht spöttisch. Besonders wenn man sich gerade
durch Kehl- und Hegemann geschleppt hat, steht Gstrein als Dattelpalme dem
hungrigen Kamel da. Endlich darf man sich einem Text wieder übergeben und muss
nicht bei jedem Schritt fürchten, dass der führende Autor eine Gletscherspalte
übersehen hat. ach! sagt einer, es sind
so viele metaphern. - du arsch; hörst du engel reden? Nur, "gutes
Handwerk" ist natürlich kein vorbehaltloses Lob. All das kann Wiener auch
- und noch viel mehr. Wiener spielt mit hundert Registern; vom Aphorismus über
den Tagebucheintrag und das Theaterstück bis zum ernsthaften, aber
parodistischen akademischen Essay beherrscht er, innerhalb eines Buches, alles. Dabei ist, genauso wie bei Gstrein, oder sogar
noch mehr, kein Wort, kein Nebensatz, kein Abschnitt dem Zufall überlassen,
oder wenn, dann absichtlich. Wiener ist Gstrein unendlich überlegen, aber
warum? Vielleicht liegt es zuletzt doch an der höheren Handwerkskunst, aber das
ist schwer zu beurteilen, da Gstrein nur einen Stil aus einer Perspektive
schreibt, und vielleicht, wer weiß, ebenso viele zur Anwendung bringen könnte
wie Wiener. Wie dem auch sei: Viel wichtiger ist, dass Wiener Mut hat, wo er
Gstrein fehlt, dass er etwas tut, wo Gstrein nichts tut, dass sein Buch Leben
hat, wo Gstreins gelangweilt in der Hängematte liegt.
Denn eigentlich ist Eine
Ahnung vom Anfang vom Titel über die Erzählung bis zur Prosa belanglos und
austauschbar. Wo ist hier der Funke, das Eigenständige, das Experiment? Gut und
brav und vorhersehbar. Eine Musterschülerin, gerade so weit begabt, dass sie,
zum Glück!, langweilig und pflegeleicht bleibt. Kein entglittener Satz, kein
entglittener Gedanke, kein entglittenes Wort. Alles ist unter Kontrolle; weil
sich nichts ereignet. Der Roman steht so da und guckt, verzieht ein wenig die
Mundwinkel, ja, oder fährt die Hand langsam aus. Aber sonst tut er nichts; es
gibt ja nichts zu tun; es geht uns allen so gut! Da würde jede Tat, jedes
abnorme Zucken nur stören. Im Dämmerschlaf sind wir glücklich, und deshalb:
Wählen Sie die Union. die verbesserung
von mitteleuropa trägt den Furor hingegen schon im Titel in sich, sie ist
ein invektiver Schüttelbecher: und große Literatur. Es gibt nichts Schlimmeres
für einen Schrifsteller als intellektuelle Durchschnittsware zu produzieren,
Schrebergarten- oder Hotelfoyerliteratur, aber genau das ist leider Gstreins
Roman, bei aller handwerklichen Meisterschaft. Wir sehen Angela Merkel ins
Gesicht und denken: Was wäre möglich gewesen, wenn sie nicht nur rumgestanden,
sondern auch etwas getan hätte? Vielleicht nichts. Vielleicht viel. Aber sogar
der kläglichste Versuch wäre inspirierender und respektabler gewesen als dieses
überzahme Herumgedruckse.
Samstag, 21. September 2013
Donnerstag, 12. September 2013
Agamben anal - Zu Helene Hegemann
Helene Hegemann, Jage zwei
Tiger, Hanser Berlin 2013.
Will man Verrisse schreiben, muss man schlechte Bücher lesen und damit für die Boshaftigkeit, von der man sich lenken lässt, Buße tun. Ich stehe also als Büßer in der Manege, als einer allerdings, der bereits gebüßt hat und jetzt loslegen darf. So beginnt eine Expedition aus dem reinlichen Manegensand in klebrig-kotigere Gebiete. Denn in Hegemanns Roman betreten wir den homo sacer von hinten und erleben ihn von innen; wir befinden uns in Agambens Darmtrakt. Sehen wir also, welche Flora und Fauna uns begegnet! Die Machete ist bereit.
Schachtelsatz. Auf allen Feldern und sogar noch im Unterholz blüht der Schachtelsatz. Spezifiziert handelt es sich um den Schulaufsatzschachtelsatz, wie ihn der Duden zur Pflege empfiehlt. Fürs Herbarium: Er brachte sie in einem gemieteten Landrover in die Nähe des Hotels, in dem Gloria bereits schlief, und nahm während einer unausgegorenen Verabschiedungsgeste den Anruf seiner Frau entgegen, die sich gerade das kobaltblaue Kleid übergezogen und in Würde hingenommen hatte, dass ihr Mann nicht nach Hause gekommen war. (s.71) Man wundert sich ein bisschen ob der ubiquitären Vorkommnis dieses Gewächses. Ein Roman, der in seiner Intention vor Witz und Geilheit kaum an sich halten kann, sollte sich wohl eher nicht von so altväterischem Kraut nähren. Die Bitterkeit im Geschmack des Schachtelsatzes rührt vor allem von seiner attributiven Qualität her und wird durch die Überdosis an Adjektiven gesteigert. Ach, jedem Nomen eine Qualifizierung, wozu? Diese Sätze schwanken langfädig und ziellos durch die Gegend.
Engel u. Mistkäfer. Scheiße muss mindestens in jedem dritten Satz vorkommen. Ansonsten würde nicht klar, wie abgefuckt alles ist. Jede Figur, inklusive des Erzählers, ist ein abgefuckter Mistkäfer mit Scheißdrall. Das ist dann doch auf die Dauer, nach zwei Seiten, etwas öd und leer, und zwar nicht in dem Sinn, dass die Ödnis der Figuren und die Leere einer Welt ins rechte Licht getaucht würden, sondern nur im Sinn einer narrativen, ästhetischen, handwerklichen Wüstenei. Englische Stimmen säuseln zudem aus allen Zweigen: Family, whatever und so, Milieuwortschatz halt unter Engeln. Der Matrose sagt ja auch immer Ahoi.
Harald Schmidt. Harald Schmidt kommt nicht vor. Aber ich möchte die Gelegenheit nutzen, um einige verstreute Anspielungen zu bündeln. Hegemann war nach Veröffentlichung von Axolotl Roadkill in der Harald-Schmidt-Show zu Gast, wobei sich herausstellte, dass bei ihr v.a. zwei thematische Schwerpunkte herrschen: Arschfick und Agamben. In ersteren muss nicht theoretisch eingeführt werden, in letzteren vielleicht schon eher, obwohl weder Hegemann noch ich, selbstverständlich, Agamben gelesen haben, es geht nur um den Brand. Das Hauptprodukt des Brands ist der homo sacer, der entrechtete Mensch in Zwischenräumen der Jurisdiktion, z.B. Häftlinge in Guantanamo. Und kennen wir das nicht alle? Nach dreißig Cocktails schaffe ich es einfach nicht mehr, mich abzuschminken, und krümme mich unter der Bettdecke, ein Opfertier des Systems, das die Welt bedeutet. Das ist der homo sacer aus Berlin Mitte. Die restlichen Assoziationspunkte möge der Leser selbst numerieren und verbinden, und er wird sehen: Es wird ein Schuh daraus.
Jammerlappen. Diesen Schuh brauchen wir, um durch all die Jammerlappen zu stapfen, die wie ein Geäder aus rotem Teppich die Wege im wilden Darm weisen. Und das wäre die Stärke des Texts! Satire. Selbstverständlich sind all diese Mistkäfer und Engel mit szenigen Tattoos usw Parodien in ihrem Gejammer. Leider ist der Roman aber auch eine Parodie seiner selbst, ein bemühter Versuch, satirisch zu sein, und dabei genauso jammervoll wie Gloria und Samantha: Denn wenn etwas noch abgegriffener ist, als sein Kind Samantha zu taufen, dann, einen Roman über Leute zu schreiben, die ihr Kind Samantha taufen könnten, und das Kind dieser Leute Samantha zu nennen. Genauso lächerlich, wie der Versuch der Protagonisten cool usw zu sein, ist der Versuch des Roman diese versuchte Coolheit (in Coolheit) darzustellen. Wir stehen eben wirklich nicht vor dem homo sacer, sondern in ihm.
Sumpfboden. Der Roman ist zäh. Kein Schritt gelingt, der Schuh nützt uns nichts, man sinkt ein. Der Roman ist langweilig. Die Syntax ist spießig gebaut, die Handlung ist spießig geil, kein Wort hat Witz, kein Satz Elan. Man schleppt sich bei fünfzig Grad und neunzig Prozent Luftfeuchtigkeit durch die Seiten. Die lethargischen, quengeligen Langweiler werden lethargisch und quengelig in Langeweile betextet. Das Opfertier blickt sich selbst im Spiegel an.
Das Grundproblem dieses Textes ist schlicht, dass zu wenig gefickt wird. Da klafft Agamben vor dir, und du haust nicht mal Goethes Pfropf rein! Stattdessen ein Herumtapsen mit Wurstfingern. Jage zwei Tiger ist der spießigste Roman seit Narziss und Goldmund und anal nur in einem Sinn: verklemmt. (Doch Friede sei mit dir!, ich möchte bedingungslos mit dich däncen, Helene, melde dein!)
Will man Verrisse schreiben, muss man schlechte Bücher lesen und damit für die Boshaftigkeit, von der man sich lenken lässt, Buße tun. Ich stehe also als Büßer in der Manege, als einer allerdings, der bereits gebüßt hat und jetzt loslegen darf. So beginnt eine Expedition aus dem reinlichen Manegensand in klebrig-kotigere Gebiete. Denn in Hegemanns Roman betreten wir den homo sacer von hinten und erleben ihn von innen; wir befinden uns in Agambens Darmtrakt. Sehen wir also, welche Flora und Fauna uns begegnet! Die Machete ist bereit.
Schachtelsatz. Auf allen Feldern und sogar noch im Unterholz blüht der Schachtelsatz. Spezifiziert handelt es sich um den Schulaufsatzschachtelsatz, wie ihn der Duden zur Pflege empfiehlt. Fürs Herbarium: Er brachte sie in einem gemieteten Landrover in die Nähe des Hotels, in dem Gloria bereits schlief, und nahm während einer unausgegorenen Verabschiedungsgeste den Anruf seiner Frau entgegen, die sich gerade das kobaltblaue Kleid übergezogen und in Würde hingenommen hatte, dass ihr Mann nicht nach Hause gekommen war. (s.71) Man wundert sich ein bisschen ob der ubiquitären Vorkommnis dieses Gewächses. Ein Roman, der in seiner Intention vor Witz und Geilheit kaum an sich halten kann, sollte sich wohl eher nicht von so altväterischem Kraut nähren. Die Bitterkeit im Geschmack des Schachtelsatzes rührt vor allem von seiner attributiven Qualität her und wird durch die Überdosis an Adjektiven gesteigert. Ach, jedem Nomen eine Qualifizierung, wozu? Diese Sätze schwanken langfädig und ziellos durch die Gegend.
Engel u. Mistkäfer. Scheiße muss mindestens in jedem dritten Satz vorkommen. Ansonsten würde nicht klar, wie abgefuckt alles ist. Jede Figur, inklusive des Erzählers, ist ein abgefuckter Mistkäfer mit Scheißdrall. Das ist dann doch auf die Dauer, nach zwei Seiten, etwas öd und leer, und zwar nicht in dem Sinn, dass die Ödnis der Figuren und die Leere einer Welt ins rechte Licht getaucht würden, sondern nur im Sinn einer narrativen, ästhetischen, handwerklichen Wüstenei. Englische Stimmen säuseln zudem aus allen Zweigen: Family, whatever und so, Milieuwortschatz halt unter Engeln. Der Matrose sagt ja auch immer Ahoi.
Harald Schmidt. Harald Schmidt kommt nicht vor. Aber ich möchte die Gelegenheit nutzen, um einige verstreute Anspielungen zu bündeln. Hegemann war nach Veröffentlichung von Axolotl Roadkill in der Harald-Schmidt-Show zu Gast, wobei sich herausstellte, dass bei ihr v.a. zwei thematische Schwerpunkte herrschen: Arschfick und Agamben. In ersteren muss nicht theoretisch eingeführt werden, in letzteren vielleicht schon eher, obwohl weder Hegemann noch ich, selbstverständlich, Agamben gelesen haben, es geht nur um den Brand. Das Hauptprodukt des Brands ist der homo sacer, der entrechtete Mensch in Zwischenräumen der Jurisdiktion, z.B. Häftlinge in Guantanamo. Und kennen wir das nicht alle? Nach dreißig Cocktails schaffe ich es einfach nicht mehr, mich abzuschminken, und krümme mich unter der Bettdecke, ein Opfertier des Systems, das die Welt bedeutet. Das ist der homo sacer aus Berlin Mitte. Die restlichen Assoziationspunkte möge der Leser selbst numerieren und verbinden, und er wird sehen: Es wird ein Schuh daraus.
Jammerlappen. Diesen Schuh brauchen wir, um durch all die Jammerlappen zu stapfen, die wie ein Geäder aus rotem Teppich die Wege im wilden Darm weisen. Und das wäre die Stärke des Texts! Satire. Selbstverständlich sind all diese Mistkäfer und Engel mit szenigen Tattoos usw Parodien in ihrem Gejammer. Leider ist der Roman aber auch eine Parodie seiner selbst, ein bemühter Versuch, satirisch zu sein, und dabei genauso jammervoll wie Gloria und Samantha: Denn wenn etwas noch abgegriffener ist, als sein Kind Samantha zu taufen, dann, einen Roman über Leute zu schreiben, die ihr Kind Samantha taufen könnten, und das Kind dieser Leute Samantha zu nennen. Genauso lächerlich, wie der Versuch der Protagonisten cool usw zu sein, ist der Versuch des Roman diese versuchte Coolheit (in Coolheit) darzustellen. Wir stehen eben wirklich nicht vor dem homo sacer, sondern in ihm.
Sumpfboden. Der Roman ist zäh. Kein Schritt gelingt, der Schuh nützt uns nichts, man sinkt ein. Der Roman ist langweilig. Die Syntax ist spießig gebaut, die Handlung ist spießig geil, kein Wort hat Witz, kein Satz Elan. Man schleppt sich bei fünfzig Grad und neunzig Prozent Luftfeuchtigkeit durch die Seiten. Die lethargischen, quengeligen Langweiler werden lethargisch und quengelig in Langeweile betextet. Das Opfertier blickt sich selbst im Spiegel an.
Das Grundproblem dieses Textes ist schlicht, dass zu wenig gefickt wird. Da klafft Agamben vor dir, und du haust nicht mal Goethes Pfropf rein! Stattdessen ein Herumtapsen mit Wurstfingern. Jage zwei Tiger ist der spießigste Roman seit Narziss und Goldmund und anal nur in einem Sinn: verklemmt. (Doch Friede sei mit dir!, ich möchte bedingungslos mit dich däncen, Helene, melde dein!)
Samstag, 7. September 2013
Ein Gähnen für die Badewanne - Zu Daniel Kehlmann
Daniel Kehlmann, F, Rowohlt 2013.
Die ästhetische Gegenreformation
rollt - wie eine Murmel dem Randstein entlang in den Gully. Neu zu erzählen!
lautet das Postulat der Bewegung und ihres Bewegers Kehlmann, sich nicht mehr
in der Sprache zu verlieren, sondern wieder einfach
zu erzählen. Nur, gegen welche Reformation richtet sich diese
Gegenreformation? Sie agiert, als ob die Literatur so grundsätzlich
experimentell reformiert worden wäre, dass Zettel's
Traum heutzutage zum Mainstream gehörte. Nichts aber entspricht der
Realität weniger. Immer schon, und in den letzten zwanzig Jahren sowieso, war
die überwältigende Mehrheit der Literatur Hausmannskost mit braven Plots,
braver Syntax und braven Ideen. Es gab keine Reformation, und es gibt keine
Gegenreformation. Alles was Kehlmann tut, ist, dem Haufen an mediokrer
Banalprosa weitere Masse zuzuführen. Das ist weder revolutionär noch radikal
oder geistreich, sondern - brav.
Kehlmann, wie Federica de Cesco,
schreibt für die Badewanne. Deshalb bin ich hier als Rezensent in einer
schwierigen Lage. Denn erstens bade ich selten, und zweitens habe ich zu
Asterix und Lucky Luke für die wenigen Badefälle über lange Jahre ein
Vertrauensverhältnis aufgebaut, das ich ungern störe. Natürlich bade ich oft
literarisch, aber dann bade ich in Literatur, nicht mit ihr (in Jelineks
Ätzlauge, nicht mit ihr in der hohlen Hand), und bade ich mit ihr, dann bin ich
eben besetzt. Ich habe also verzweifelt versucht, F außerhalb der Badewanne zu lesen, im Garten, im Ohrensessel, aber
bei Abwesenheit benebelnder Dämpfe war für mich einfach kein Umgang mit dem
Buch.
Ich lese Wortabfolgen wie Seit einer Dreiviertelstunde warte ich. Ich
habe keine Ahnung, warum ich hier bin, aber da die Klimaanlage funktioniert,
ist es mir ganz recht. Die Hitze drückt gegen die Fenster, die Luft draußen ist
vollgesogen; unwillkürlich frage ich mich, ob die Scheiben halten werden. Ich
nippe an meinem Pappbecher mit Kaffee (s. 107). Tja. Halbwegs sauber
geschrieben, sauber lektoriert, aber wozu soll ich das lesen? Ich raffe mich
wieder auf, sage mir, dass die Sprache ja nur ein Vehikel für die Geschichte
sein soll, und versuche mich an der Geschichte. Ich lese von drei
Reißbrettbrüdern, einem schwulen Künstler, dicken Priester, scheiternden
Geschäftsmann, mit einem noch papiereneren Vater, Schriftsteller, und
verzweifle erneut. Ich raffe mich wieder auf und sage mir, dass die Geschichte
ja nur ein Vehikel für die Spannung sein soll, die mich zum Umblättern bringt.
Ich blättere also fleißig um und schaue mir danach den Umschlag an. Ja, so
geht's. Leider lese ich dann im Klappentext, es handle sich bei diesem Roman um
ein "virtuoses Kunstwerk", und dunkel steigt die Ratlosigkeit vom
Himmel.
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