Elfriede Jelinek, rein Gold,
Rowohlt 2013.
Alle Welt dünstet Wagner aus, jeder Baum ist eine Esche, und es
ist kein Vieh, das nicht Runen raunt. Zur Rettung eilt wieder Jelinek, um nach
Aischylos (Bambiland), Schubert (Winterreise) und Goethe (FaustIn and out) auch Wagner der
Sperrmüllabfuhr des Kulturbetriebs, den Fängen seiner Manager, zu entreißen.
Auf der Bühne stehen Wotan und Brünnhilde und kalauern sich durch den Ring, die Zwickauer Zelle, den
Kapitalismus. Brünnhilde ist auch Beate Zschäpe, das Feuer, das die Götter
verschlingt, auch die Flamme in der der Wohnwagen ihrer Genossen, deutscher
Helden, aufging. Wotan ärgert sich über Jesus, aber zuletzt ist es das Gold,
das die durch und durch kapitalistische Gesellschaft des Rings vorwärtszieht: in den Abgrund. Kurz, es ist ein ganz
typischer Jelinektext, bissig, blödsinnig grandios, in den Wort- und
Ideenspielen nicht immer treffend, aber wenn, dann auf den Punkt genau und in
seiner Pünktlichkeit erst vor der Tapete all der herrlich schiefen Kalauer
deutlich. Insgesamt klingt das wie folgt, es spricht Wotan:
Ja, immer schön auf dem Teppich
bleiben! Wir müssen ja nicht gleich abheben wie dieser völlig abgehobene Jesus,
der Erlöser, aus Menschliebe sein Selbstopfer beschlossen, sein Papa hat sofort
zugestimmt, so war er ihn endlich los, der Geist hat geschwiegen, wie immer,
und die Menschen hatten ihn, den Salat, auch ab sofort, immer ist alles ab
sofort!, sie hatten ihn am Hals. Und ich? Ein Gott, der einst leben wollte,
will jetzt nur noch seinen eigenen Untergang. Das Geld will gar nichts. Es ist
da. Es ist das Dasein selbst. Es lebt in seliger Öde auf sonniger Höh. Es weiß,
wie der Gott, der sich opfert, daß es in denen fortlebt, die es besitzen. Der
Gott weiß bloß, daß er in denen fortlebt, die an ihn glauben. Die haben das
ewige Leben, das ewige Geld hat keiner, es wäre einfach zuviel, man kann es
sich nicht einmal vorstellen. Nicht einmal ein Gott, der alles geschaffen hat,
kann sich so viel von etwas vorstellen. (ss. 66-7)
Man sei eingeladen, aus diesem wunderbaren Chaos die
Werbetexterstränge, die Schopenhauerstränge usw herauszubeineln, oder noch
besser vielleicht: darin zu baden wie in ätzendem Eukalyptus. Diese Stränge
sind eigens für Wagner komponiert und für die politischen Geschehnisse der
letzten Monate, aber das Bad als ganzes ist im wesentlichen dasselbe wie immer
bei Jelinek und sein Wirken auf der Haut sehr ähnlich. Deshalb stellt sich die
Frage, warum man spezifisch rein Gold
lesen soll und nicht einen ihrer anderen Texte. Nun, zunächst kann man noch
einmal festhalten, dass man ihn Wagner zuliebe lesen sollte: Es handelt sich
bestimmt um die lebendigste Äußerung zu seinem zweihundertsten Geburtstag. Aber
warum ist er innerhalb von Jelineks Werk besonders interessant und nicht nur
ein müßiges Dacapo derselben Leiermusik, der Leiermusik eben, die in Winterreise so eindrücklich zu Wort
kommt, ja viel eindrücklicher, oberflächlich, als in diesem
"Bühnenessay" zu Wagner? Die Antwort liegt darin, dass durch den
Wagnerbezug etwas zu Jelineks eigener Kompositionstechnik hervortritt, rein
assoziativ vielleicht, das sonst nicht so eindeutig wird: Jelinek ist
Wagnerianerin.
Als Skizze von dickstem Pinsel in ungeschicktester Hand könnte man
einen Kontrast zwischen "wagnerianischen" Kompositionen und
"nicht-wagnerianischen" zeichnen: Bei letzteren superveniert Klang
über Struktur, bei ersteren Struktur über Klang. Ein nicht-wagnerianischer
Komponist, zum Beispiel ein serieller Musiker wie Boulez oder ein konkreter
Lyriker wie Rühm, beginnt mit strukturellen Überlegungen, Überlegungen zur
Organisation von einzelnen Noten oder Buchstaben, und erst darüber entsteht ein
Klang, ganz abhängig von der Struktur und diese nicht bestimmend. Ein
wagnerianischer Komponist andererseits beginnt mit einem Klang, einem Akkord,
einem Motiv, und erst über der Wiederholung dieses Motivs und seinem Verhältnis
zu anderen Motiven entsteht so etwas wie eine Kompositionsstruktur. Jelineks
Texte sind nicht durch eine Reihe strukturiert, sondern durch das regelmäßige Auf-
und Abtauchen gewisser Sätze, die wiederum gewissen Themenkomplexen angehören.
Das Finanzmotiv beginnt, fließt kalauernd ins Heldenmotiv, von da ins
Neonazimotiv, dann taucht das Finanzmotiv wieder auf, dann kommt Jesus,
Zschäppe, Zschäppe halb als Jesus als Held als Alberich als Gold als
Finanzmotiv: Eine kaum enden wollende Traufe, über der nur dadurch Struktur
entsteht, dass die gleichen Waschkübel wieder und wieder von den Balkonen
geschüttet werden.
Jelinek ist Wagnerianerin: Man könnte die Assoziation auch kürzer
fassen und sagen, dass sie eben mit Leitmotiven arbeitet. Oder man könnte das
Wort "Suada" ins Spiel bringen, womit man sie auch gleich in die
bestimmt wichtige Verbindung mit Thomas Bernhard brächte. Nur, was heißt es,
wenn man sagt, ein Text sei eine Suada oder aus Leitmotiven konstruiert?
Vielleicht so etwas wie oben skizziert. Aber wichtiger als solche
Analyseversuche ist der Eindruck, der sich einem sowohl bei Wagner als auch bei
Jelinek aufdrängt, der Eindruck, man sei in einen Strom gefallen, dem man
nichts aufzwingen kann, dem man sich nur übergeben oder durch vollständiges
Abtrocknen entziehen kann. Nicht dass es nicht Tausende Unterschiede zwischen
den beiden gäbe, das Satirische, jedem Weihrauch bös Gesinnte ist doch eher
Jelineksch als Wagnersch usw. Aber die Grundeinstellung, die man tätigen muss,
um Wagner und Jelinek schätzen zu können, ist dieselbe: Man muss das Strömende,
das Leitmotivische, die Suada als Kompositionsprinzip akzeptieren, und nicht
als Kompositionsversagen, als Absturz in die Eindimensionalität, entwerten, um
die Komplexität und den Reichtum der Texte zu erkennen.
Deshalb lohnt es sich besonders, rein Gold zu lesen, um zu sehen: Wagner ist Jelinekianer.