Samstag, 10. August 2013

Jelinekianer und Nicht-Wagnerianer - Zu Elfriede Jelinek

Elfriede Jelinek, rein Gold, Rowohlt 2013.

Alle Welt dünstet Wagner aus, jeder Baum ist eine Esche, und es ist kein Vieh, das nicht Runen raunt. Zur Rettung eilt wieder Jelinek, um nach Aischylos (Bambiland), Schubert (Winterreise) und Goethe (FaustIn and out) auch Wagner der Sperrmüllabfuhr des Kulturbetriebs, den Fängen seiner Manager, zu entreißen. Auf der Bühne stehen Wotan und Brünnhilde und kalauern sich durch den Ring, die Zwickauer Zelle, den Kapitalismus. Brünnhilde ist auch Beate Zschäpe, das Feuer, das die Götter verschlingt, auch die Flamme in der der Wohnwagen ihrer Genossen, deutscher Helden, aufging. Wotan ärgert sich über Jesus, aber zuletzt ist es das Gold, das die durch und durch kapitalistische Gesellschaft des Rings vorwärtszieht: in den Abgrund. Kurz, es ist ein ganz typischer Jelinektext, bissig, blödsinnig grandios, in den Wort- und Ideenspielen nicht immer treffend, aber wenn, dann auf den Punkt genau und in seiner Pünktlichkeit erst vor der Tapete all der herrlich schiefen Kalauer deutlich. Insgesamt klingt das wie folgt, es spricht Wotan:

Ja, immer schön auf dem Teppich bleiben! Wir müssen ja nicht gleich abheben wie dieser völlig abgehobene Jesus, der Erlöser, aus Menschliebe sein Selbstopfer beschlossen, sein Papa hat sofort zugestimmt, so war er ihn endlich los, der Geist hat geschwiegen, wie immer, und die Menschen hatten ihn, den Salat, auch ab sofort, immer ist alles ab sofort!, sie hatten ihn am Hals. Und ich? Ein Gott, der einst leben wollte, will jetzt nur noch seinen eigenen Untergang. Das Geld will gar nichts. Es ist da. Es ist das Dasein selbst. Es lebt in seliger Öde auf sonniger Höh. Es weiß, wie der Gott, der sich opfert, daß es in denen fortlebt, die es besitzen. Der Gott weiß bloß, daß er in denen fortlebt, die an ihn glauben. Die haben das ewige Leben, das ewige Geld hat keiner, es wäre einfach zuviel, man kann es sich nicht einmal vorstellen. Nicht einmal ein Gott, der alles geschaffen hat, kann sich so viel von etwas vorstellen. (ss. 66-7)

Man sei eingeladen, aus diesem wunderbaren Chaos die Werbetexterstränge, die Schopenhauerstränge usw herauszubeineln, oder noch besser vielleicht: darin zu baden wie in ätzendem Eukalyptus. Diese Stränge sind eigens für Wagner komponiert und für die politischen Geschehnisse der letzten Monate, aber das Bad als ganzes ist im wesentlichen dasselbe wie immer bei Jelinek und sein Wirken auf der Haut sehr ähnlich. Deshalb stellt sich die Frage, warum man spezifisch rein Gold lesen soll und nicht einen ihrer anderen Texte. Nun, zunächst kann man noch einmal festhalten, dass man ihn Wagner zuliebe lesen sollte: Es handelt sich bestimmt um die lebendigste Äußerung zu seinem zweihundertsten Geburtstag. Aber warum ist er innerhalb von Jelineks Werk besonders interessant und nicht nur ein müßiges Dacapo derselben Leiermusik, der Leiermusik eben, die in Winterreise so eindrücklich zu Wort kommt, ja viel eindrücklicher, oberflächlich, als in diesem "Bühnenessay" zu Wagner? Die Antwort liegt darin, dass durch den Wagnerbezug etwas zu Jelineks eigener Kompositionstechnik hervortritt, rein assoziativ vielleicht, das sonst nicht so eindeutig wird: Jelinek ist Wagnerianerin.

Als Skizze von dickstem Pinsel in ungeschicktester Hand könnte man einen Kontrast zwischen "wagnerianischen" Kompositionen und "nicht-wagnerianischen" zeichnen: Bei letzteren superveniert Klang über Struktur, bei ersteren Struktur über Klang. Ein nicht-wagnerianischer Komponist, zum Beispiel ein serieller Musiker wie Boulez oder ein konkreter Lyriker wie Rühm, beginnt mit strukturellen Überlegungen, Überlegungen zur Organisation von einzelnen Noten oder Buchstaben, und erst darüber entsteht ein Klang, ganz abhängig von der Struktur und diese nicht bestimmend. Ein wagnerianischer Komponist andererseits beginnt mit einem Klang, einem Akkord, einem Motiv, und erst über der Wiederholung dieses Motivs und seinem Verhältnis zu anderen Motiven entsteht so etwas wie eine Kompositionsstruktur. Jelineks Texte sind nicht durch eine Reihe strukturiert, sondern durch das regelmäßige Auf- und Abtauchen gewisser Sätze, die wiederum gewissen Themenkomplexen angehören. Das Finanzmotiv beginnt, fließt kalauernd ins Heldenmotiv, von da ins Neonazimotiv, dann taucht das Finanzmotiv wieder auf, dann kommt Jesus, Zschäppe, Zschäppe halb als Jesus als Held als Alberich als Gold als Finanzmotiv: Eine kaum enden wollende Traufe, über der nur dadurch Struktur entsteht, dass die gleichen Waschkübel wieder und wieder von den Balkonen geschüttet werden.

Jelinek ist Wagnerianerin: Man könnte die Assoziation auch kürzer fassen und sagen, dass sie eben mit Leitmotiven arbeitet. Oder man könnte das Wort "Suada" ins Spiel bringen, womit man sie auch gleich in die bestimmt wichtige Verbindung mit Thomas Bernhard brächte. Nur, was heißt es, wenn man sagt, ein Text sei eine Suada oder aus Leitmotiven konstruiert? Vielleicht so etwas wie oben skizziert. Aber wichtiger als solche Analyseversuche ist der Eindruck, der sich einem sowohl bei Wagner als auch bei Jelinek aufdrängt, der Eindruck, man sei in einen Strom gefallen, dem man nichts aufzwingen kann, dem man sich nur übergeben oder durch vollständiges Abtrocknen entziehen kann. Nicht dass es nicht Tausende Unterschiede zwischen den beiden gäbe, das Satirische, jedem Weihrauch bös Gesinnte ist doch eher Jelineksch als Wagnersch usw. Aber die Grundeinstellung, die man tätigen muss, um Wagner und Jelinek schätzen zu können, ist dieselbe: Man muss das Strömende, das Leitmotivische, die Suada als Kompositionsprinzip akzeptieren, und nicht als Kompositionsversagen, als Absturz in die Eindimensionalität, entwerten, um die Komplexität und den Reichtum der Texte zu erkennen.

Deshalb lohnt es sich besonders, rein Gold zu lesen, um zu sehen: Wagner ist Jelinekianer.